Der Umgang mit provozierten Störungen während der Aktionärshauptversammlung

02.05.2018

Einmal im Jahr kommen die Anteilseigner einer Aktiengesellschaft (AG) zur ordentlichen Hauptversammlung (HV) zusammen. Diese dient dem Informationsaustausch und der Beschlussfassung über zentrale unternehmensbezogene Vorgänge, wie der Vorlage des Jahresabschlusses, die Zusammensetzung des Aufsichtsrats sowie der Entlastung des Vorstandes. Doch nicht immer läuft alles unproblematisch ab. Jahr für Jahr gibt es zahlreiche Störungen gegen den geordneten Ablauf der HV durch Redner bzw. Personen aus dem Publikum. Oftmals wollen die Störer durch den Protest ihre Unzufriedenheit mit der Unternehmensentwicklung mitteilen oder durch Aktivismus auf einen Umstand aufmerksam machen. Nicht selten wird von den Störern versucht Rechtsverstöße am ordnungsgemäßen Ablauf der HV, wie z.B. ein verfrühter Saalverweis eines Aktionärs, zu provozieren, um die gefassten Beschlüsse anfechten zu können. Die Folgen sind finanzielle und reputatorische Schäden für die AG.

Typische Störungen sind Sprechchöre, provokative Transparente, Lärmerzeugung sowie der tätliche Angriff. Je nach Situation können verschiedene Ordnungsmaßnahmen angewendet werden. Diese werden vom Versammlungsleiter, der die Hauptverantwortung über den ordnungsgemäßen und damit rechtssicheren Ablauf der HV trägt, erlassen. Je nach Satzung der AG hat zumeist der Aufsichtsratsvorsitzender dieses Amt inne. Besonders bei emotionalen Situationen kann es zu einem übermäßigen Gebrauch seines Ordnungsrechts kommen. In diesem Falle würde es zu einer unrechtmäßigen Beschränkung von Aktionärsrechten führen und damit das Anfechtungsrisiko erhöhen. Um dies vorzubeugen, hilft die Erstellung eines Sonderleitfadens mit vorformuliertem Text auf Basis der aktuellen rechtlichen Grundlage. Ein solcher hilft auf Standardstörungen verhältnismäßig, souverän und frei von Rechtsfehlern zu reagieren. Zur operativen Umsetzung seiner Entscheidungen kann er Hilfskräfte, wie eigene Mitarbeiter oder Dienstleister, einsetzen.

Wird eine Störung provoziert, sollte die Ansprache und die Wahl der Maßnahme empfängerorientiert sein. Daher werden im Folgenden die beteiligten Personen in zwei Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe besteht aus geladenen Personen (Journalisten, Gäste), Funktionspersonal (eigene Mitarbeiter, Sicherheitspersonal, Catering) sowie Unbefugten. Diese haben allesamt kein Teilnahmerecht an der HV, dadurch kann bei einer eventuellen Störung mittels Hausverbot gem. § 123 StGB zügig gehandelt werden. Deutlich feinfühliger muss mit der Hauptgruppe, den Aktionären sowie Aktionärsvertretern, umgegangen werden. Denn diese sind Inhaber von versammlungsgebundenen Mitgliedschaftsrechten, wie dem Teilnahmerecht zur Anwesenheit an der HV, dem Auskunftsrecht in Form vom Rede- und Fragerecht sowie dem Stimmrecht für die Tagesordnungspunkte. Kommt es zu einer unrechtmäßigen Verletzung dieser Rechte, so können die gefassten Beschlüsse der HV gem. § 243 Abs. 1 AktG angefochten werden. Dies bedeutet für die AG einen unter Umständen aufwendigen Anfechtungsprozess vor Gericht.

Aus diesem Grund sind zentrale Grundsätze beim Umgang mit Störungen zu beachten. Zum einen sind die Aktionäre stets gleich zu behandeln, unabhängig davon, ob diese ein Klein- oder Großaktionär sind. Des Weiteren muss die Verhältnismäßigkeit zwischen der Ordnungsmaßnahme und der Beschränkung des Aktionärsechtes vorliegen. Ferner sollte inhaltlich neutral gehandelt werden.
Durch das Vorgehen in Eskalationsstufen bei der erforderlichen Beschränkung von Aktionärsrechten wird ein unverhältnismäßiger Gebrauch des Ordnungsrechts begrenzt und das Anfechtungsrisiko verringert. Davon ausgenommen sind jedoch tätliche Angriffe, denn in diesem Fall ist eine unverzügliche Abwehr des Angriffes gem. § 32 StGB Notwehr geboten.

Anhand des Folgenden Fallbeispiels werden die Eskalationsstufen für eine Rederechtsbeschränkung mit anschließendem Saalverweis exemplarisch verdeutlicht: Es findet eine ordentliche HV eines DAX-Konzerns in Frankfurt a. M. im Mai statt. Die Einberufung war frist- und formgerecht. Die Eingangskontrolle zum Schutz der Veranstaltung und der Auftakt verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Nach der Eröffnung der Generaldebatte geht ein Aktionär zum Mikrofon und beginnt einen moralischen Monolog mit ausfallender Wortwahl über das Unternehmen. Nun reagiert der Versammlungsleiter auf diesen Missbrauch des Rederechts.

Folgende Eskalationsstufen für die Beschränkung des Rederechts sind denkbar:

• Dem Störenden wird sein Rederecht erläutert und die negativen Konsequenzen seines Verhaltens auf die anderen Versammlungsteilnehmer aufgezeigt.

• Es folgt eine Ermahnung und die Androhung weiterer Maßnahmen.

• Eine Wiederholung dieser Stufen ist geboten.

• Anschließend folgt eine individuelle Beschränkung des Rederechts auf beispielsweise weitere zehn Minuten Sprechzeit.

• Im nächsten Schritt wird ihm das Wort entzogen und es folgt die Aufforderung zu seinem Platz zurückzukehren.

• Abschließend wird das Mikrofon ausgeschaltet und er wird aufgefordert unverzüglich zu seinem Platz zurückzukehren.

• Kommt er dem nicht nach, wird er durch die Saalordner zu seinem Platz geleitet.

Leistet er dabei Widerstand bzw. stört weiterhin kann mit der Eskalation zum Saalverweis fortgesetzt werden. Dies ist die strengste Beschränkung eines Aktionärs und stellt demzufolge die höchsten Anforderungen. Es kann wie folgt verfahren werden:

• Zunächst wird der Störer mittels Ordnungsruf ermahnt und der Saalverweis wird angedroht.

• Auch dies ist zu wiederholen.

• Im nächsten Schritt wird der temporäre Saalverweis vollzogen. Dabei wird der Störer für die Dauer von ca. zehn Minuten des Saales verwiesen. Er verbleibt jedoch im Präsenzbereich. Idealerweise kann dafür ein bereitgehaltener Nebenraum, welcher mit Lautsprecher oder einer Videoanlage ausgestattet ist, genutzt werden. Das ermöglicht dem Störer sich zu beruhigen und weiterhin der HV akustisch zu folgen.

• Kommt dieser nicht zur Vernunft oder stört nach Wiedereinlass in den Saal erneut, wird der endgültige Saalverweis in Verbindung mit dem Hausverbot gem. § 123 StGB ausgesprochen. Das Durchsetzen des Hausrechts sollte mit der Zuhilfenahme der Polizei erfolgen.

• Bevor der Störer den Präsenzbereich gänzlich verlässt, sollte diesem die Möglichkeit offeriert werden seine Stimmrechtsausübung an einen Dritten mittels Vollmacht zu übertragen. Zu diesem Zweck bietet sich an unternehmenseigenes Personal vorzuhalten.

Keep in Mind

• Die Hauptverantwortung und damit das Ordnungsrecht für den ordnungsgemäßen Ablauf der HV trägt der Versammlungsleiter.

• Wichtige Aktionärsrechte sind das Teilnahme-, Auskunfts- und Stimmrecht, bei deren unrechtmäßigen Beschränkung die Beschlüsse der HV angefochten werden können.

• Zentrale Grundsätze beim Einsatz von Ordnungsmaßnahmen sind die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit, die Gleichbehandlung der Aktionäre, sowie inhaltlich neutral zu handeln.

• Durch stufenweise Eskalation bei der Ausübung des Ordnungsrechts wird die Verhältnismäßigkeit gewahrt und das Anfechtungsrisiko verringert.

Quellen:
Ek, R. (2018). Praxisleitfaden für die Hauptversammlung. ISBN 978-3-406-64796-3.
HV-Magazin 2/13 (2013). Ordnungsmaßnahmen des Versammlungsleiters. ISSN 2190-2380.

Anmerkung Seitens der Privatimus GmbH: Dies ist ein Blogbeitrag von Christian Kluge.

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